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Clockwork Orange

nach Anthony Burgess

Eine Metropole der westlichen Welt, Gegenwart. Alex und seine Droogs stören das zivilisierte Zusammenleben der friedliebenden Gesellschaft. Auf ihren Streifzügen durch die Stadt wird geprügelt, vergewaltigt und gemordet, was ihnen über den Weg läuft. Die Penunzia, die dabei abfällt: ein nettes Nebenprodukt. Denn Geld ist nichts im Vergleich zur horrorshow Lust, die durch den Körper jagt, wenn man die rote, rote Krow fließen sieht. Aber für diese Form der Sinnlichkeit gibt es wenig Verständnis und mit Alex‘ Verhaftung beginnt seine Umerziehung zur sozialen Verträglichkeit. Eine neuartige Therapieform schneidet tief in seine Persönlichkeit ein und konditioniert ihn so, dass Gewaltausübung unmöglich und Alex berechenbar wie ein Uhrwerk wird. Anhand der Lust an Destruktion und Leid fragt die Ludwigsburger/Stuttgarter Produktion nach dem, was menschliches Handeln ausmacht oder sogar determiniert. Auf der Grundlage von Anthony Burgess‘ 1961 erschienenem Roman begibt sich das Team auf die Suche nach der Internalisierung, Verschiebung und Auslagerung von physischer Gewalt in einem vordergründig friedfertigen System.

Daniel Foerster studierte Regie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg, Robert Sievert studierte Bühnen- und Kostümbild an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Laura Guhl studierte Dramaturgie an der Theaterakademie August Everding. Godje Hansen, Alexandra Lukas und Stefan Hornbach studieren bzw. studierten Schauspiel an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg. Varya Popovkina ist Schauspielabsolventin der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Carolin Wiedenbröker ist Absolventin des Studiengangs Schauspiel an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.

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REGIE

Daniel Foerster 

AUSSTATTUNG

Robert Sievert 

DRAMATURGIE

Laura Guhl 

 

MIT

Godje Hansen

Alexandra Lukas

Stefan Hornbach

Varya Popovkina

Carolin Wiedenbröker

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Pressestimmen

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Die Gewalt als purer, blutiger Spaß

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Anthony Burgess schrieb’s, Stanley ­Kubrick verfilmte, die Toten Hosen sangen „Hier kommt Alex“. Jungregisseur Daniel Foerster inszeniert „Clockwork Orange“ im Schauspiel Nord.

„Nein! Ich war das nicht! Nein, bitte! Das waren die anderen! Es tut mir leid! Ich bin kein schlechter Mensch!“, brüllt Alex (Varya Popovkina), zappelt und krümmt sich in der weißen Pfütze, deren Radius die Cops von Mal zu Mal erweitern. Einer nach dem anderen schütten sie Liter um Liter Milch über den Delinquenten. Mit seinen Kumpeln, die er „Droogs“ nennt, hat er gestohlen, geprügelt, vergewaltigt. Nun ist’s vorbei mit der Übeltäterei.

Anthony Burgess schrieb’s, Stanley ­Kubrick verfilmte, die Toten Hosen sangen „Hier kommt Alex“. Jungregisseur Daniel Foerster inszeniert „Clockwork Orange“ im Schauspiel Nord. Der Roman fragte 1962, ob und inwiefern man kriminelle Energie aus dem Menschen entfernen darf. Der ­gewissenlose Beethoven-Liebhaber Alex, ­eloquent und klug, avanciert darin zum ­Versuchskaninchen. Eine neurologische ­Behandlung, bei der man ihm Abbilder des Leids eintrichtert, soll ihm die Verbrechenslust nehmen.

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Um an den Ekel des Sträflings zu appellieren, gibt sie [alexandra Lukas] heulend eine an den Schauspielunterricht erinnernde Imaginationsübung: „Wer sitzt im Auto? Der Opa? Was hat er an?“, fragt Hansen als weiß ­bemantelter Forscher respektive Lehrer, mahnt und befiehlt. Popovkinas Alex hält das nicht aus. Die fürs Stück symptomatische Szene unterhält: [...] Es geht um die Reaktion des Gewalttätigen, nicht ums ihm Gezeigte.

Abgesehen von einer bodenbedeckenden Riesenfolie agiert das Quintett ohne Bühnenbild. Lediglich Dutzende Milchflaschen stehen aufgereiht an den Seiten und werden nacheinander verspritzt. Riskant, so fast bar jeglicher Requisite, aber der Plan geht auf. Nicht zuletzt, weil Popovkina im grün-lila gestreiften Hemd einen herrlich Verrückten mimt, irre schielt und sich mit der Zunge die Lippen befeuchtet. Mit der Gang tanzt sie anfangs noch zu Bässen wie aus der Handheldkonsole, eine Choreografie irgendwo zwischen Schattenboxen und Aerobic – stark.

[...] Jede Szene überzeugt, obgleich sie auch ab und an zu ausführlich gerät.

[...] Dieses orange Uhrwerk macht Spaß. Und Hoffnung. Alex formulierte wohl lobend: Echt Horrorshow!

Cornelius W. M. Oettle, Stuttgarter Nachrichten

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Geld ist nicht alles

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Grundsätzlich stößt der Abend alle ab, die allergisch sind gegen Überraschungen. Für den Rest ist er Hochgenuss. „Ludwig van” und Slayer, „Georg Friedrich“ und Rammstein, alles einem Stück, und es funktioniert. Burgess‘ im eigens erfundenen Slang verfasster Text wird mit intertextuellen Verweisen in die Gegenwart gewürzt. Mal wirkt eine Szene realistisch, und plötzlich tritt eine Figur aus der schönsten Gewaltorgie heraus und jammert über die eigene verkorksten Kindheit. Unmengen, riesige Unmengen Milch schütten die Droogs symbolisch über ihre Opfer, was so viel heißt wie: ihnen brutale Gewalt antun. Dazu Heavy Metal. Schillers „Freude schöner Götterfunken” mit Beethovens großer Melodie wird mal verletzlich ins Mikro gehaucht, mal von den Droogs grölend als Sauflied verwendet. Poetischer Wunsch nach Brüderlichkeit meets blutige Realität, Kontrast. Kontraste und andauernde Stilbrüche, davon lebt der Abend.
Statt findet alles im Schauspiel Stuttgart Nord, und es ist ein „Projekt der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Stuttgart und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.“ Super. Nur die Zusammenarbeit mit der milchverarbeitenden Industrie bleibt unerwähnt, die wird infolge des Stücks bald die Preise erhöhen können. Wirklich, Unmengen von Milch, die da verschüttet werden, Unmengen.

Zuerst schüttet Alex am meisten. Schüttet auf seine Opfer und schüttet auf seine Freunde, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzen. Dann wird er verraten und selber vollgeschüttet. Also alles voller Milch und Alex im Gefängnis, er unterzieht sich einer neuartigen Behandlungsmethode, die ihn bald frei macht. „Frei/wie ein Küken im Ei.“ Die Wissenschaftler bringen lauter Reimvergleiche vor und Alex ist geheilt. Er kann das alte Rein-raus-Spiel nicht mehr spielen und gewaltunfähig ist er auch. Zu einem Uhrwerk ist er geworden, und alle Welt nutzt seine Wehrlosigkeit aus. Lediglich ein Schriftsteller nimmt sich seiner an, eben jener, den er und seine Droogs so zugerichtet haben. Während der Roman noch weitergeht, bricht das Stück hier ab. Warum denn auch nicht. Alex hinter besagtem milchigem Vorhang schreit unhörbar, aber die Plastikfolie bleibt eisern.

Hier wird gezeigt, Clockwork Orange geht ohne Blut. Ohne Orangen. Ohne Uhren. [...] Überhaupt, Geschlechterrollen, die lösen sich ganz auf. Nichts bleibt übrig. Das ist der Gegenwartsbezug. Wer ihn bezeugen will, der gehe. Am 28. und 29. und 30. Mai hat man noch Gelegenheit. Also Beeilung. Penunzia ist keine Ausrede, denn: „Geld ist nicht alles.“

Philipp Neudert, TheaterNETZ

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Exzesse mit Drogenmilch

 

Nichts für Zartbesaitete: Das Stuttgarter Schauspiel bringt im Nord „Clockwork Orange“ nach Anthony Burgess’ Roman heraus. Sowohl der Roman als auch die Verfilmung von Stanley Kubrick wurden höchst kontrovers diskutiert – dem Stück dürfte es ähnlich gehen.

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Sie klingeln, bitten höflich um Hilfe. Ob sie wohl das Telefon benutzen, ein Glas Wasser für den kranken Freund bekommen könnten? Aber kaum stehen Alex und seine Gang im Haus des Schriftstellers, legen sie das Mobiliar auseinander, vergewaltigen den Mann, vernichten seine Manuskripte – und löschen gleich noch die Sicherheitskopien auf dem Rechner. Einfach so, aus Lust und Laune. Denn rohe, nackte Gewalt ist das Hobby von Alex. Und falls ihm kleine Mädchen unterkommen, vergewaltigt er sie. „Vergewohltätigen“ nennt er das.

„Clockwork Orange“ ist nichts für Zartbesaitete. Der Roman von Anthony Burgess als auch die legendäre Verfilmung von Stanley Kubrick wurden höchst kontrovers diskutiert. Gewalt werde ästhetisiert und um ihrer selbst eingesetzt, meinten Kritiker, denn selbst wenn die Brutalität verfremdet sein mag, wird sie exzessiv zur Schau gestellt.

Das Schauspiel Stuttgart hat sich den Stoff nun vorgenommen und mit jungen Akteuren sowie Studierenden der Akademie der Darstellenden Kunst in Ludwigsburg im Nord aufgeführt. Die mit Plastikfolien ausgelegte Bühne (Ausstattung: Robert Sievert) lässt schon ahnen: Es wird auch hier zur Sachen gehen.

Im Nord sind Alex und seine Gang allerdings keine schweren Jungs, sondern nette Mädchen von nebenan mit züchtigen Frisuren und Hosen, die ihnen fast bis unter die Achseln reichen. Burgess konstruierte für Alex und dessen „Droogs“ den fiktiven Jugendslang „Nadsat“. Da wird „gesloosht“ und „gesplosht“, da saugt der Porsche „die Straße wie einen Spaghetto“ ein. „Wir strippten ihn runter“, erzählen die Frauen – und man ahnt doch, dass sie jemandem eine handfeste Lektion erteilt haben.

Der Regisseur Daniel Foerster versucht, die Gewalt zu verfremden und baut choreografierte Einlagen zu harten Technobeats ein, die an Fitnessworkouts erinnern. Die Kids trinken nicht nur mit synthetischen Drogen angereicherte Milch, sondern kippen sie ihren Opfern literweise über die Köpfe – und es kommt zu feuchten Schlachten, bei denen die Geprügelten schließlich hilflos in den milchigen Pfützen schlingern.

[...] Foersters Inszenierung ist einfallsreich und bietet dem jungen Ensemble viele Möglichkeiten, seine Qualitäten zu zeigen. Die Schauspielerinnen sind beeindruckend und enorm vielseitig, aber vor allem Varya Popovkina ist stark, souverän und höchst präsent als Alex, diesem schöngeistigen Teufel.

 Adrienne Braun, Stuttgarter Zeitung

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