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Auf der Suche nach dem nächsten Opfer

Interview mit nachtkritik.de im rahmen des Heidelberger stückemarkts 2020

April 2020. jedermann (stirbt) von Ferdinand Schmalz ist ursprünglich ein Auftragswerk der damaligen Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann. Sie wollte ein Gegengewicht zum "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal schaffen, der jährlich auf dem Programm der Salzburger Festspiele steht. In Graz hat Daniel Foerster Schmalzens Stück mit Schlagern angereichert und die Vierte Wand eingerissen. Wir haben ihn gefragt, wie es dazu kam.

Herr Foerster, was hat Sie an "jedermann (stirbt)" begeistert?

Daniel Foerster: Der Text ist eine kluge zeitgenössische, freche und ebenso nachdenkliche Überschreibung des Jedermann-Stoffes. Er hat eine große Energie und Chuzpe, die mich beim Lesen geradezu ansprang. Vor allem transportiert er ein Augenzwinkern und eine bestimmte Geschwindigkeit. Das hat mich dazu animiert, in der Inszenierung eine entsprechende Körperlichkeit und Spielweise anzulegen.

Das Tempo wird bei Ihnen aber auch von Songs im Schlagerstil durchbrochen. Die sind zwar schmalzig, stammen aber nicht von Schmalz, oder?

Daniel Foerster: Die Liedtexte hat unser Musiker Jan Preißler geschrieben und mit dem Ensemble einstudiert. Wir haben dazu aber die ausdrückliche Erlaubnis des Autors eingeholt. Die „teuflisch gute Gesellschaft“ sollte immer so affirmativ, positiv und systembejahend wie möglich sein, sich immer wieder musikalische Selbstbestätigung geben. Die Schlager sollen die Geschichte aber auch verorten: Ein Liedtext stammt aus „Grünes Herz“, das ist ein Werbespot für die Steiermark.

Gekleidet ist die Gesellschaft dagegen eher, als käme sie gerade aus einer Vorstellung in Salzburg.

Daniel Foerster: Das Stück ist ja auch ein Kommentar auf den Original-"Jedermann", der dort jedes Jahr aufgeführt werden muss. Uns war relativ schnell klar, dass wir es aus einer betuchten Gruppe heraus erzählen wollen.

Am Anfang ist noch gar nicht klar, wer aus der Gruppe überhaupt den Jedermann spielt.

Daniel Foerster: Ich gehe in meinen Inszenierungen gerne von den Spieler*innen und ihrer Spielweise aus. Die sollen im besten Fall eine Gruppe sein, die den Abend wie live erfindet und so auch Mittel des Theaters offenlegt. Im vorliegenden Fall ergibt sich dieses Spielprinzip für mich aus einem Kniff des Textes: Nach dem Tod des Jedermann nimmt die Gesellschaft eine Art Selbstbeschreibung vor. Sie sagt, dass sie immer wieder ein Opfer braucht, um als Gesellschaft bestehen zu können. Das führt mich zu der Idee, dass die Gruppe jeweils stillschweigend entscheidet, wer heute Abend dieses Opfer, also der Jedermann ist – so als könnte es beim nächsten Mal jemand anderen treffen.

Weicht also das christliche Opfer bei Hofmannsthal dem kapitalistischen?

Daniel Foerster: Der Wissenschaftler Mark Fisher spricht von einer Zentrumslosigkeit des Kapitalismus. Es fällt uns schwer, ihn uns als etwas so Abstraktes vorzustellen, dass man niemanden wirklich dafür belangen kann. Daher denken wir immer, es sei getan, wenn man irgendwelche Vorstandschefs absetzt, weil die Menschheit einen Sündenbock aus Fleisch und Blut braucht, den sie opfern kann.

Der Kapitalismus wird in einer Szene Ihrer Inszenierung erstaunlich direkt spürbar. Da fordert der Jedermann eine Person aus dem Publikum auf, ihm für 50 oder sogar 100 Euro den Schuh abzulecken. War das auch mit dem Autor abgesprochen?

Daniel Foerster: Nein. Aber der Geldschein kommt bei ihm vor. Wir merkten auf der Probe, dass es den Moment klein macht, wenn man Requisitenpapier verwendet. Dieses Glitzern des Silberstreifens auf dem 100-Euro-Schein löst sofort etwas in einem aus. Wir wollten, dass es ein echter Moment ist, der in jeder Hinsicht etwas kostet.

Hat die Szene bisher viel Budget gefressen?

Daniel Foerster: Vorstellungen, bei denen niemand sich meldet, um den Schuh abzulecken, sind eher die Ausnahme. Wir hatten bei den Endproben aber einmal die Situation, dass jemand es machte, sich dann aber so schämte, dass er danach erklärte, er werde das Geld spenden.

Der Nachspielpreis hat ursprünglich den Zweck, zu verhindern, dass zeitgenössische Stücke sofort in der Versenkung verschwinden. Nun wird „jedermann (stirbt)“ ja bereits jetzt fleißig nachgespielt. Könnten Sie sich vorstellen, dass es ein Klassiker wird?

Daniel Foerster: Es gibt ja die zeitgenössischen Klassiker wie Stücke von Elfriede Jelinek oder Dea Loher. Da gehört "jedermann (stirbt)" schon fast dazu. Ich würde mich sogar freuen, wenn es das Original in Salzburg ablösen würde, aber ich fürchte, gegen die Folklore bei dieser Aufführung hat der Schmalz-Text, so gut er ist, keine Chance.

Haben Sie die Uraufführung durch Stefan Bachmann 2018 in Wien gesehen?

Daniel Foerster: Nein, nur mir mithilfe von Trailern einen Eindruck der bisherigen Inszenierungen verschafft. Ich bin da zwar neugierig, aber auch immer sehr vorsichtig. Denn für mich ist es nur gut, eine vorherige Umsetzung zu sehen, wenn ich sie nicht gut finde. Nur dann bestärkt es mich in all dem, was ich anders mache.

Bei Uraufführungen herrscht ja oft noch ein Konsens, sich möglichst an die Vorlage zu halten. Der bröckelt dann immer mehr ab.

 

Gab es von Verlags- oder Autorseite irgendwelche Vorgaben?

Daniel Foerster: Mir sind keine bekannt. Aber wenn ich mich für einen Text entscheide, ist mir immer wichtig, ihn in seiner Gänze ernst zu nehmen. Große Striche kamen für mich hier nicht infrage, da der Text an sich schon sehr auf den Punkt geschrieben ist. In Graz haben wir einen sehr guten, direkten Draht zu Ferdinand Schmalz, mit dem wir uns regelmäßig ausgetauscht haben.

Sie kommen aus Göttingen und inszenieren hauptsächlich in Deutschland. Haben Sie den Eindruck, dass dem Jedermann-Stoff in Österreich mit mehr Ehrfurcht begegnet wird?

Daniel Foerster: Er ist absolut hier verwurzelt und verankert. Mit dem Schmalz-Text wird zwar nicht heiliger umgegangen, aber das Publikum fühlt sich durch eine Neubearbeitung doch anders angesprochen und herausgefordert als zum Beispiel bei der deutschen Erstaufführung in Frankfurt in der Regie von Jan Bosse. Die hatte nach uns Premiere, ich war drin, und die 700 Leute waren einfach von diesem Text als Text begeistert. Dennoch hat dieser ganz besondere Bezug gefehlt. Vielleicht steht man in Österreich mehr unter Beobachtung des Publikums.

Sie sind ja auch Autor und waren als solcher schon vor sechs Jahren beim Heidelberger Stückemarkt vertreten. Sind Sie heute nervöser als damals?

Daniel Foerster: Damals war ich noch im Studium und habe mit einem Text teilgenommen, der im Rahmen eines Studienprojektes entstanden war. Es ist ein Stückemarkt, da steht man als Autorenpersönlichkeit mehr im Fokus. Als Regisseur gehe ich ein bisschen entspannter ins Festival.

Das Interview führte Martin Thomas Pesl

(Quelle: http://heidelberger-stueckemarkt.nachtkritik.de/nachspielpreis/jedermann-stirbt)

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